Stolpersteine gereinigt und poliert

Schüler der Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule halten Gedächtnis an Opfer der NS-Zeit anlässlich der Reichspogromnacht wach.

In der Kirchstraße polierte Ilenia Venzaprone die Stolpersteine für die großteils ermordeten Familien Salmon und Albert. Julien Lück, Elisa Palmubo und Lea Heil erinnerten mit Fotos an die Familien. Foto: M. Jungfleisch

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg.  Mit Putzeimer, Bürste, Spülwasser und Poliertuch marschierten am vergangenen Freitag Schüler der Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule zu den Riegelsberger Stolpersteinen. Hier polierten die Neuntklässler die Gedenksteine für die Opfer der NS-Diktatur, die 2015 auf Initiative vom „Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg“ von dem Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt wurden.

So reinigten die Schülerinnen und Schüler in der Talstraße die Gedenksteine für die Familie Neumark, in der Kirch- und der Invalidenstraße  die Stolpersteine für die Familien Salmon und Albert sowie Gross.

In der Talstraße

Anlässlich des 84. Jahrestages der Reichspogromnacht putzten Neuntklässler der Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule die Riegelsberger Stolpersteine in der Invalidenstraße für die gerettete Familie Gross.  Foto: Francesco Pecoraro

In der Kirchstraße

Mit Fotos und Auszügen aus den Biografien der vertriebenen, ermordeten und auch beschützten Familien wurde das Leid der jüdischen Mitbürger aus Riegelsberg bewusst gemacht. Unter die Haut ging das von Valentino Cyrill vorgetragene Gedicht „Das Lied vom Kind, das der Mutter sein letztes Brot geschenkt hat“.

Valentino Cyrill trug zur Einstimmung auf die Putzaktion das „Das Lied vom Kind, das der Mutter sein letztes Brot geschenkt hat“ vor. Foto: M. Jungfleisch

Anlass der diesjährigen Putzaktion war der 84. Jahrestag der Reichspogromnacht, in der vom 9. bis 13. November 1938 im ganzen Reichsgebiet Synagogen in Brand gesteckt, tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört und Juden öffentlich gedemütigt, geschlagen und durch die Straßen getrieben wurden.

„Mit dieser alljährlichen Veranstaltung mit Riegelsberger Gemeinschaftsschülerinnen und -schülern wollen wir an die Schrecken der NS-Diktatur erinnern und den Jugendlichen bewusst machen, wie schnell aus Ausgrenzung Hass werden kann und Hass in Gewalt übergehen kann,“ erklärte Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis.  Den Jugendlichen rief sie zu, sich nicht von fremdenfeindlichen Parolen, Rassismus und Ausländerhetze anstecken zu lassen.

An den Stolpersteinen in der Talstraße polierte Kristin Junk die Gedenksteine für die geflohene Familie Neumark. Francesco Pecoraro (l.) und Leon Scheffler stellten Kerzen auf. Foto: M. Jungfleisch

Schulleiter Günter Engel, Bürgermeister Klaus Häusle und Ortsvorsteher Heiko Walter lobten das Engagement der Schülerinnen und Schüler, die zusammen mit ihrer Religionslehrerin Marieke Thomé und der Stolpersteinprojektleiterin an der Gemeinschaftsschule, Dr. Christine Conrad, die diesjährige Putzaktion vorbereitet hatten. 

Bürgermeister Klaus Häusle würdigte das Engagement der Schülerinnen und Schüler. Foto: M. Jungfleisch

Erstmals unterstützt wurde die Putzaktion vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ sowie vom Regionalverband Saarbrücken.

Statt Zwangsjacken respektvolle Erinnerung an das Schicksal psychisch kranker Menschen

Gemeinschaftsschüler besichtigten Psychiatriemuseum Merzig

Die Teilnehmer der Fahrt ins Psychiatriemuseum Merzig vor den Toren der einstigen Provinzialirrenanstalt und heutigen SHG-Klinik. Statt einst 1.500 werden hier noch 60-70 Patienten stationär und ambulant behandelt. 

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg. Zwangsjacken, Elektroschocker, Operationen am offenen Kopf und Kaltduschen: All das zählt zum Horrorkabinett der Psychiatrie und gehört gottlob seit vielen Jahren der Vergangenheit an. Wie psychisch Kranke Menschen in den vergangenen Jahrhunderten therapiert bzw. malträtiert wurden, wie die einstige Provinzialirrenanstalt in Merzig sich seit ihrer Gründung 1876 entwickelt hat und wie sie das düstere Kapitel ihre Vergangenheit mit Zwangssterilisationen und Entmenschlichung ihrer Patienten aufgearbeitet hat, das steht im Mittelpunkt des Psychiatriemuseums Merzig. 

Diesen feinsinnigen, künstlerisch inszenierten Ort der Besinnung, des respektvollen Erinnerns an ein einstmals großes Haus und das Schicksal seiner Patienten besuchten Riegelsberger Gemeinschaftsschüler zusammen mit ihren Lehrerinnen Mareike Thome und Sissy Leinenbach. 

Organisiert wurde die Führung von Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ Gefördert wird dieses Projekt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Regionalverband Saarbrücken.

Sophia Guarneri und Elisa Palumbo (v.l.) lasen aufmerksam die Biografien berühmter Politiker, Schauspieler und Schriftsteller, die alle psychisch krank und dennoch erfolgreich waren. Foto: M. Jungfleisch

Die Jugendlichen hörten erschütternde Details aus dem Klinik- und Therapiealltag aus dem profunden Mund von Dipl. Psych. Ralf Schmitt, der die Besuchergruppe durch das Museum führte:

Die Anstalt war vor 150 Jahren als autarkes Krankenhaus errichtet worden, mit eigenem Heizkraftwerk, vielen landwirtschaftlichen und handwerklichen Betrieben, eigener Kapelle, eigenem Pfarrer und eigenem Friedhof. 

Was der eigene Friedhof mit dem „Raum mit dem leeren Feld“ zu tun hat, erklärte Ralf Schmitt folgendermaßen: „Hier wird der Patienten gedacht, die nach Merzig kamen und damit für immer ihre soziale Heimat verloren. Viele von ihnen wurden bis 1978 fernab ihres Zuhauses auf dem klinikeigenen Friedhof begraben. Mehrere mit Erde aus verschiedenen saarländischen Landkreisen gefüllte Quadrate sind auf dem Boden ausgestellt – nur eines ist leer: Es steht für jene Merziger Patienten, die in der Nazi-Zeit deportiert und umgebracht wurden und niemals ein eigenes Grab bekamen. Fast 800 waren es“.

Leni Fischmann, Leon Scheffler und Kristin Junk (v.l.) betrachten sich die Reste der Friedhofskreuze, die noch gefunden wurden und nun ausgestellt werden.

Dass in der Türkei bereits ab dem 14. Jahrhundert Patienten mit Musik, Düften und Wasserspielen behandelt wurden, während im modernen Europa noch über 500 Jahre später die Ärzte mit der Kalt-Wasser-Schocktherapie ihre Patienten zu heilen versuchten, überraschte die Jugendlichen. „Echt grass“, meinten sie, „hätten wir nicht gedacht.“

Was haben Winston Churchill oder Nelly Sachs gemeinsam? Sie waren beide psychisch krank. Trotzdem haben sie als englischer Premierminister oder als Schriftstellerin Großes, Bleibendes, Beeindruckendes geschaffen. Auch wenn die Jugendlichen die beiden nicht kannten, waren sie beeindruckt, „dass sie so krank und trotzdem so erfolgreich in ihren Berufen waren.“

Der „Raum mit dem leeren Feld“ steht symbolisch für die Patienten, die fern der Heimat auf dem Klinikeigenen Friedhof bestattet wurden. Das leere Feld erinnert an die rund 800 Euthanasieopfer aus der Merziger Anstalt, für die es keine Grabstätte gibt.

„Geschichtsunterricht mal anders“

Riegelsberger Gemeinschaftsschülerinnen und -schüler auf den Spuren der NS-Diktatur in der LandeshautstadtAlternative Stadtrundfahrt am 10., 20. und 21. Oktober 2022 

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg. Gleich drei Mal organisierte die Riegelsberger Historikerin Monika Jungfleisch im Namen des Projektes „Demokratie leben!“ für  Gemeinschaftsschülerinnen und -schüler eine alternative Stadtrundfahrt auf den Spuren der NS-Herrschaft durch Saarbrücken.

Im Mittelpunkt der jeweils fünfstündigen Führung stand die Frage: Wo lassen sich noch heute Zeugnisse der Nationalsozialistischen Diktatur in der Landeshauptstadt finden? 

„An vielen Orten, an denen man es gar nicht erwartet hätte“, lautete die Antwort der Schülerinnen und Schüler am Ende der Tour.

Nur wenigen war bewusst, dass das heutige Staatstheater damals 1935 ein Geschenk des Führers Adolf Hitler für die überwältigende Zustimmung der Saarländer zur Rückgliederung ans Deutsche (Dritte) Reich war. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als die Nazis bereits zwei Jahre lang in Deutschland herrschten und bekannt war, dass sie die demokratischen Rechte deutlich eingeschränkt hatten und Minderheiten offen diskriminierten.

Dass es auch Widerstand gegen die NS-Diktatur gab, erfuhren die Jugendlichen am Grab von Willi Graf auf dem Friedhof St. Johann.

Klasse 10 an der Gedenkstätte für Willi Graf, Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose.

Welche unterschiedlichen Opfergruppen unter der NS-Diktatur litten, machte Stadtführerin Meike Jung am Beispiel der Gedenkstätte für die Ostarbeiter auf dem Friedhof St. Johann deutlich. Sie hatten vor allem in den Röchling’schen Stahlwerken und im Bergbau unter menschenunwürdigen Bedingungen geschufftet. 

Die Klasse 9b an der Gedenkstätte für Ostarbeiter auf dem Friedhof St. Johann.  Fotos: M. Jungfleisch

Besonderes Highlight war der Besuch der neuen Synagoge und die Erklärungen über jüdischen Glauben und jüdische Riten durch den Kantor der Saarbrücker Synagogengemeinde Benjamin Chait.

Kantor Benjamin Scheid zeigte den Jugendlichen Thorarollen der Synagogengemeinde Saar.

Erschüttert zeigten sich die Jugendlichen von der Dokumentation der Haftbedingungen am ehemaligen Gestapo-Lager Neue Bremm und der einstigen Gestapo-Zelle im Saarbrücker Schloss.

Klasse 9a im Historischen Museum

„Geschichtsunterricht mal anders“, fanden die Jugendlichen und ihre Lehrkräfte Mareike Thome, Sissy Leinenbach, Vassia Thielen und Chris Breyer. „Eindinglich, ortsnah und hoffentlich nachhaltig.“

Finanziert wurde die Stadtrundfahrten durch das Projekt „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Regionalverband Saarbrücken.

Erinnert und vergewissert

Evangelische Kirche und Aktionsbündnis Stolpersteine ließen 1700 Jahre jüdisches Leben in Riegelsberg Revue passieren.

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg. „Erinnerung und Vergewisserung“ – unter diesem Leitwort hatten das Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg und die Ev. Kirchengemeinde Güchenbach in Riegelsberg am 10. November um 15.00 Uhr zu zwei Vorträgen mit Klezmermusik in die Ev. Kirche Riegelsberg eingeladen. 

Anlass ist das Gedenkjahr 2021: „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Pfarrer Dr. Tobias Kaspari und Historikerin Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis Stolpersteine informierten die Gäste über jüdisches Leben in Deutschland und in Riegelsberg.  
Foto: Marie-Odile Junge

Seit 321 ist durch ein Dekret Kaiser Konstantins für Köln jüdisches Leben im nachmaligen Deutschland verbürgt. „Dies ist auch uns ein Anlass, der jüdischen Geschichte, seines reichen kulturellen und religiösen Erbes und der vielen Versuchen, es auszulöschen und zu bedrohen, zu gedenken“, erklärte Pfarrer Dr. Tobias Kaspari.  „Solche Erinnerung schafft Vergewisserung der eigenen Identität, die ohne die jüdische nicht denkbar ist.“ 

Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis Stolpersteine berichtete über das jüdische Leben in Riegelsberg und die deportierten Familien, für die Stolpersteine verlegt werden konnten. Hierzu zeigte sie ihren Film „Stolpersteine für Riegelsberg“, den sie 2019 gedreht hatte, und in den fünf Jahre Recherchearbeit und Zeitzeugenbefragungen eingeflossen sind.

Pfarrer Dr. Tobias Kaspari stellte in einem kurzweiligen und informativen Beitrag die Bedeutung des Judentums für das kulturelle und religiöse Leben in Geschichte und Gegenwart vor. 

Gerhard Stoll, Manfred Zapp, Peter Palm, Alfred Beyer und Armin Ziegler spielten Kleszmermusik.
Foto: M. Jungfleisch

Das Klarinette-Bass-Quartett unter Leitung von Armin Ziegler spielte Klezmer-Musik. Über 30 Interessierte waren der Einladung gefolgt und erlebten einen spannenden und zugleich auch geselligen Nachmittag. Denn im Anschluss lud Dr. Kaspari ins Gemeindehaus zu einem Empfang. Die Gäste konnten hierbei den Gewürzkuchen genießen, gebacken nach einem Rezept von Amanda Salmon, einer jüdischen Mitbürgerin, die aus der Kirchstraße deportiert und ermordet wurde.

Stolpersteine geputzt und mit Videos jüdisches Leben in Riegelsberg erklärt

Am 10. November erinnerten Neuntklässler und das Aktionsbündnis Stolpersteine an jüdische Opfer der NS-Diktatur in Riegelsberg.

In der Invalidenstraße glänzen die Gedenksteine für die Familie Gross wieder. Monika Jungfleisch (4.v.r) freute sich im Namen des Aktionsbündnisses Stolpersteine für Riegelsberg, dass nun alle Gedenksteine wieder strahlen.

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg. Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist alljährlich Anlass, auch an die Riegelsberger Opfer der NS-Diktatur zu erinnern. Damals wurden Synagogen in Brand gesteckt, tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört und Juden öffentlich gedemütigt, geschlagen und durch die Straßen getrieben.

Heute putzen Riegelsberger Gemeinschaftsschülerinnen und -schüler gemeinsam mit dem Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg Gedenksteine an unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die an deren früheren Wohnstätten in Riegelsberg verlegt wurden. 

In der Kirchstraße polierten Integrationshelferin Marcela Fox und Mike Heinrich die Gedenksteine für die Familien Salmon und Albert.

Auftakt der diesjährigen Putzaktion war eine Gedenkstunde in der neuen Mensa der Leonardo-da-Vinci-Gemeinschaftsschule, die von der Klasse 9c und ihrem Lehrer für Gesellschaftswissenschaften, Niclas Pillong, gestaltet wurde. Hierfür hatten die Schülerinnen und Schüler Erklär-Videos erstellt, die die Lebengeschichten der 13 Riegelsberger Juden in altergerecht-ansprechender Weise zusammenfassen. Gestaltet wurden die Videos von Kimberly Kühnel, Amanda Peter, Vivienne Gebhardt, Marlon Weber, Tom Pistorius, Clara Weber, Leonie Feix und Jacob Stein. Sie zeigen, wie die Familie Neumark in der Zeit der NS-Diktatur in Riegelsberg außer Landes getrieben wurde, wie die Familien Albert und Salmon deportiert und ermordert und wie die Familie Gross beschützt wurde von den Nachbarn. 

Zu den Erklärvideos fertigte die Klasse 9c auch QR-Codes, mit denen man die Videos abspielen kann.

Monika Jungfleisch dankte im Namen des Aktionsbündisses Stolpersteine den Schülerinnen und Schülern für diese moderne Form des Erinnerns und Gedenkens. „Viele Zahlen und Datum aus dem Geschichtsunterricht werdet ihr sicherlich vergessen. Doch vielleicht bleibt euch das Schicksal der kleine Rosi Salmon in Erinnerung, die in Auschwitz starb. Oder das Schicksal ihrer Schwester Ilse, die die Befreiung in Bergen Belsen noch erlebt und dann an den Folgen der Lagerhaft verstarb, wie Anne Frank. Oder das Schicksal von Adele Gross, die im Keller in der Invalidenstraße versteckt wurde und somit den NS-Rassenwahn überlebte.

In der Talstraße putzte Hamsa Alhamoud die Stolpersteine für die jüdische Familie Neumark.  

Schulleiter Günter Engel und Bürgermeister Klaus Häusle dankten den Schülerinnen und Schülern und dem Aktionsbündnis, dass sie jedes Jahr an die jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger erinnern und die Stolpersteine putzen. 

Gestärkt mit selbtgebackenem Kuchen nach dem Rezept von Amanda Salmon startetet die Schülerinnen und Schüler ihren Rundgang zu den Stolpersteinen, die sie wieder auf Hochglanz polierten.

Gestärkt mit selbstgebackenem Kuchen nach dem feinen Rezept von Amanda Salmon startetet die Schülerinnen und Schüler ihren Rundgang zu den Stolpersteinen. Mit dabei Hans Jürgen Marowsky, Schul-Projektleiterin Dr. Christine Conrad, Schulleiter Günter Engel, Bürgermeister Klaus Häusle, Stephan Lehberger (v.l.).
Modern, altersgerecht, verständlich, einprägend: Die Erklärvideos, die die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9c zu den Schicksalen der jüdischen Familien aus Riegelsberg angefertigt haben.
Aufmerksam verfolgten die Schülerinnen und Schüler sowie die Gäste aus dem Gemeinderat die Gedenkstunde, die durch Ansprachen von Schulleiter Günter Engel, Bürgermeister Klaus Häusle und Aktionsbündnis-Initiatorin Monika Jungfleisch gestaltet wurde.
Viel Aufmerksamkeit fanden auch die Erklärvideos der Schülerinnen und Schüler, die in der Mensa vorgeführt wurden, bevor alle zum Putzen der Stolpersteine aufbrachen.

Alle Fotos: M. Jungfleisch

Stolpersteine mit Masken und Abstand geputzt

Am 10. November erinnerten Riegelsberger Gemeinschaftsschüler und das Aktionsbündnis Stolpersteine coronabedingt in stark reduzierter Form an die jüdischen Opfer der NS-Diktatur in Riegelsberg.

In der Talstraße putzten Charlotte Biehl und Jan Dahlheimer die Stolpersteine für die jüdische Familie Neumark.  Foto: M. Jungfleisch

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg. Eigentlich wollten am vergangenen Dienstag Schüler und Lehrer der Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule, das Aktionsbündnis Stolpersteine, Bürgermeister Klaus Häusle und Ortsvorsteher Heiko Walter im Rahmen einer Gedenkfeier an die jüdischen Opfer der NS-Diktatur in Riegelsberg erinnern.

Diese alljährliche Veranstaltung erinnert an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der etwa 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben, 1.400 Synagogen in Brand gesteckt und tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört wurden. Die Gedenkfeier samt Putzaktion stößt jedes Jahr auf großes Interesse in Riegelsberg. So würdigten z.B. letztes Jahr Landtagspräsident Stephan Toscani und Regionalverbandsdirektor Peter Gillo das Engagement der Schüler und des Aktionsbündnisses dadurch, dass sie persönlich an der Gedenkfeier teilnahmen. 

In der Kirchstraße polierten Leonie Pilla und Max Kronenberger die Gedenksteine für die Familien Salmon und Albert. Foto: M. Jungfleisch

Doch dieses Jahr musste die Veranstaltung den neuen Bestimmungen Rechnung tragen. Die Gedenkfeier in der Schule wurde komplett abgesagt. Das Putzen der Stolpersteine wurde gemäß der aktuellen Bestimmungen jedoch durchgeführt: Jeweils zwei Schüler putzten in der Tal-, Kirch- und Invalidenstraße die Gedenksteine für die jüdischen Familien. Hierbei wurden selbstverständlich die „AHA“-Regeln eingehalten.

Schulleitung, Aktionsbündnis, Bürgermeister und Ortsvorsteher bedauern sehr, dass das Gedenken an die NS-Opfer in diesem Jahr in dieser reduzierten Form stattfinden musste. „Wichtig ist es aber, dass die Erinnerung an die Opfer wachgehalten und somit das Bewusstsein für die Verantwortung geschärft wird, rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Parolen nicht auf den Leim zu gehen,“ erklärte Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis im Namen aller Beteiligter. „Die Lehren aus der Geschichte behalten gerade auch in Corona-Zeiten ihre aktuelle Bedeutung.“

In der Invalidenstraße glänzen die Gedenksteine für die Familie Gross wieder dank Julian Bauer und Alina Klein.  Foto: M. Jungfleisch

Kleiderbügel der jüdischen Kaufmannsfamilie Neumark aufgetaucht

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Der Kleiderbügel der jüdischen Kaufmannsfamilie Neumark.  
Foto: M. Jungfleisch

Von Monika Jungfleisch

Riegelsberg. Wer hätte das gedacht? Rund 85 Jahre nach der Flucht der jüdischen Kaufmannsfamilie Neumark aus Riegelsberg im Jahre 1935 ist nun ein Kleiderbügel aufgetaucht, der aus dem „Kaufhaus J. Neumark, Giuchenbach“ stammt. 

Gefunden bzw. aufbewahrt hat das Relikt aus vergangenen Zeiten Friedemann Schröck, Jahrgang 1931. Der heute 89-Jährige kann sich zwar selbst nicht mehr an Jakob Neumark bzw. dessen Witwe Henriette Neumark erinnern, doch soviel weiß er noch: „Meine Eltern haben häufig und gerne in dem Kaufhaus eingekauft.“ Damals, als die jüdischen Mitbürger in Riegelsberg noch vielfach am Gesellschafts- und Geschäftsleben beteiligt waren.

Gleich mehrere jüdische Familien hatten in den 1920-1930er Jahren die Riegelsberger Geschäftswelt mit ihren Dienstleistungen bereichert. Wie z.B. Eugen Dreifus, der ein Schuhhaus in der Kirchstraße 17 führte und sich 1929 selbst das Leben nahm. Oder die Geschwister Adele Groß, Amanda Salmon und Leonie Albert, die in der Kirchstraße 12 (heute 20) ein Geschäft für Kurz-, Weiß- und Wollwaren, Herrenartikel und Arbeitsbekleidung betrieben. Oder eben Henriette Neumark, die nach dem Tod ihres Mannes Jakob das Geschäft in der Talstraße 16 weiterführte.

Erst nach der Rückgliederung des Saarlandes an Hitler-Deutschland 1935 wuchs auch in Riegelsberg die judenfeindliche Stimmung, was weitreichende Folgen hatte: Henriette Neumark emigierte mit ihren Söhnen Rudolf und Arthur nach Luxemburg, wo sie 1936 im Alter von fast 80 Jahren verstarb. Ihre Söhne flohen kurz nach der Besetzung Luxemburgs durch die Nazis nach Beginn des 2. Weltkriegs in die USA und überlebten somit den Holocaust. 

Adele Groß wurde von ihrer Familie und ihren Nachbarn beschützt und überlebte den Holocaust unbeschadet. Ihre beiden Schwestern und deren Familien flohen nach Frankreich. 1944 wurden Amanda und Robert Salmon und die Töchter Ilse und Rosi sowie Leonie Albert und Tochter Renate interniert und schließlich nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordert wurden. Überlebt hat lediglich Leonies Sohn Armand Albert, der rechtzeitig vor der Internierung in Frankreich fliehen konnte.

Friedemann Schröck hat den Kleiderbügel der Familie Neumark dem „Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg“ übergeben, das an die Opfer der NS-Diktatur erinnert. Seinen Ehrenplatz wird der Kleiderbügel im Riegelsberger Heimatmuseum erhalten und dort an die einst blühende jüdische Geschäftswelt von Riegelsberg erinnern sowie an die Folgen der menschenverachtenden NS-Progaganda.

Einladung zum Stolpersteinputzen 2020

Liebe Stolperstein-Freunde,

einmal im Jahr, zum Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, putzen Schüler der Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule in Riegelsberg die Stolpersteine für die Opfer der Nazi-Diktatur in ihrem Heimatort. 

Diese Gedenksteine in den Bürgersteigen erinnern an die jüdischen Mitbürger, die bis zu Hitlers Machtergreifung friedlich in Riegelsberg lebten und nach 1933 von Mitbürgern gedemütigt, verfolgt, außer Landes gedrängt, deportiert, in Konzentrationslager gesteckt und schließlich ermordet wurden. Andere wurden aber auch beschützt und versteckt.

Auch in diesem Jahr reinigen die Schüler am Dienstag, 10. November, mit Putzeimer, Poliertuch und Schwämmchen die insgesamt 13 Stolpersteine in der Tal-, Kirch- und Invalidenstraße.

Die Putzaktion beginnt um 8 Uhr mit einer kleinen Gedenkstunde im Musiksaal der Gemeinschaftsschule. Nach der Begrüßung durch Schulleiter Günter Engel und der Filmvorführung „Stolpersteine für Riegelsberg“ werden Bürgermeister Klaus Häusle, Ortsvorsteher Heiko Walter und Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg zu den Schülerinnen und Schülern sprechen. 

Wegen der aktuell steigenden Corona-Infektionen kann die sonst für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger öffentliche Veranstaltung nicht in gewohntem Rahmen stattfinden. Wer teilnehmen möchte, wird gebeten, sich im Sekretariat der Gemeinschaftsschule (Tel.: 06806 – 99210) anzumelden und sich an die „AHA-Regeln“ zu halten.

Am Putzen der Stolpersteine können gerne alle interessierten Mitbürgerinnen und Mitbürger teilnehmen. Treffpunkt: 9 Uhr in der Talstraße. Auch hier gelten die „AHA-Regeln“.

75 Jahre Kriegsende: Gemeinsames Gedenken an die Opfer des NS-Regimes

Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg“ und Gemeinschaftsschüler reinigten zusätzlich zur November-Putzaktion die Stolpersteine am 8. Mai

Mitglieder des „Aktionsbündnisses Stolpersteine für Riegelsberg“ reinigen die Gedenksteine für Familie Neumark in der Talstraße und für die Familien Salmon und Albert in der Kirchstraße.  Fotos: Aktionsbündnis

 

Von Monika Jungfleisch

Der 8. Mai ist ein wichtiges Datum der Geschichte: Vor 75 Jahren kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Deutschland und die gesamte Menschheit wurden vom NS-Regime befreit. Die Welt konnte aufatmen, endlich hatte das sinnlose Töten von Millionen Menschen ein Ende gefunden.

Für den 8. Mai in diesem Jahr waren aus diesem Anlass zahlreiche Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen im Saarland geplant, die wegen der Pandemie jedoch abgesagt werden mussten.

Dennoch fand das „Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg“ einen Weg, des Kriegsendes und damit der Opfer der NS-Schreckensherrschaft zu gedenken.

„Wir haben uns dem Aufruf der ‚Rosa Luxemburg Stiftung-Saar‘ und der ‚Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten‘ angeschlossen und die ‚Stolpersteine‘ für die NS-Opfer in Riegelsberg zusätzlich zu unserer alljährlichen Putzaktion im November nun auch zum 8. Mai geputzt. Selbstverständlich distanziert und in einer kleinen Gruppe, wie es den Vorschriften in der Corona-Zeit entspricht, und wie immer in Zusammenarbeit mit der Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule,“ erklärt Monika Jungfleisch im Namen des Aktionsbündnisses.

„Besonders gefreut hat uns, dass die Schüler mit ihrer Klassenlehrerin Dr. Christine Conrad spontan dazustoßen konnten“, ergänzt Volker Junge vom Aktionsbündnis, „denn erst ein paar Tage davor durften die Schüler wieder zurück in den Unterricht.“

Schüler der  Leonardo-Da-Vinci-Gemeinschaftsschule putzen die Stolpersteine für Familie Gross in der Invalidenstraße.  Foto: Dr. Christine Conrad